Im Visier 2210

Zugrunde liegender Roman: Leo Lukas - Der Ilt und der Maulwurf

Vorbemerkungen und Plot

Plot:

Sohnemann Kantiran ist in die Hand der bösen Hexe Ascari de Gaukeley gefallen, die sich in theatralischen Folterdialogen an dem wehrlosen Toren ergötzt.

Nachdem die Verantwortlichen an Bord der LE Kantiran zuerst problemlos in die Ferne ziehen ließen, packt sie jetzt das schlechte Gewissen und Gucky und Tolot werden ausgeschickt, ihn möglichst in einem Stück zurückzubringen.

Unterstützt werden sie vom Maulwurf, einem griesgrämigen, unwirschen und unwilligen Agenten auf Hayok, der sich lieber mit Hyperstürmen und ähnlichen Unbill beschäftigt. Der Maulwurf mag eigentlich keine Politiker, mag seinen Chef nicht, schon gar nicht irgendwelche Mutanten, und überhaupt nicht den vorlauten Ilt.

Beim Transport von Kantiran aus Ascaris Knusperhäuschen in ein Raumschiff, um ihn nach Arkon zu bringen, schlagen die Befreier zu. Hyperstürme legen inzwischen den ganzen Sektor lahm, und auch ein klein wenig die Realität. Gut 20 Seiten lang folgt der Plot nun einem H.G.Ewers Expose, ehe Befreiung und Happy End nach der Bereitschaft des Maulwurfs, sich zu opfern, nicht länger hinausgeschoben werden können.

Zwischen Leben und Tod schwebend muss der Maulwurf eine letzte Entscheidung für sich treffen, auch wenn der Preis buchstäblich das eigene Leben ist.

Tei 2

 

Rezension

Positives:

Leo Lukas hat's geschrieben.

Eigentlich eine ausreichende Aussage... ;-)

Gucky hat seine Plofre Phase nicht vergessen. Er darf sein Gehirn nicht nur zum Teleportieren, sondern auch zum Denken benutzen. Was in 2210 Heften nicht oft geschehen ist.

Und ein wenig fotogener, nicht sehr wagemutiger, verschrobener Agent, der Maulwurf genannt wird, darf unwirsch "granteln" und sich zu einem Einsatz zwingen lassen.

Kantiran geht durch die Hölle, auch wenn diese Passagen vor fast 200 Heften mit Bully und seinen Erfahrungen mit arkonidischen Foltern tiefer unter die Haut gingen. Ascari kehrt zurück, als tobende Furie mit Rachegelüsten und Mordgedanken. Nur Arien singen darf sie noch nicht, aber bis dahin ist's wohl auch nicht mehr weit.

Ein halbes Heft lang war's wie ein Weihnachtgeschenk aus Rastatt. Düster, übertrieben, überlebensgroß, sentimental, ein angeschlagener Mensch mit unschönem Spitznamen, der bei den meisten anderen Autoren wohl zum Psychopathen verkommen wäre. Ein über sich nachdenkender Mausbiber. Ein aufziehender Hypersturm.

Was will man mehr?

Und eine Pointe, eine Überraschung am Ende, die Erklärung für das Verhalten des Maulwurfes. Ein Schicksal, das erfüllt wird.

Neutrales:

Shallowain bleibt reichlich "shallow", eine zu blasse Figur, ein Jasager neben der Primaballerina Ascari. Die alles andere als lebensecht und vielschichtig gezeichnet ist. Was ich fast immer als großen, gewichtigen Kritikpunkt ansehen würde: Hier passt es aber sogar. Ascari hat noch nie in ihrer Rolle "funktioniert", es gibt kaum einen Grund, ihr jetzt noch eine subtile Zeichnung/Charakterisierung zukommen zu lassen.

Da darf dann ruhig Frankensteins Braut, Schneewittchens Stiefmutter oder eine ins Publikum sprechende/singende Operdiva als Rollenvorbild herhalten. Bleibt nur zu hoffen, dass irgendwann einmal Leo ihr den endgültigen Garaus machen darf.

Neben dem Ilt, dem Maulwurf und der rachekreischenden Ascari bleibt kaum Raum für Tolot. Wie so oft schlägt er sich halt durch die Handlung.

Eigentliche Handlung gibt's wenig. Aufgestellt wurden die Figuren bereits vor zwei Wochen. Und anstelle der Hypersturm-Handlungs- verzwirbelungen hätte ich viel lieber mehr vom Maulwurf gelesen, die kurzen Szenen mit Gucky und dem Maulwurf ausgebaut.

Negatives:

Kantirans zickiger Alleingang erweist sich als das Abspulen leerer Kilometer. Er verlässt die LE. Lässt sich bereits im nächsten Heft (der Handlungsebene) von seinen Jägern erwischen. Und wird unmittelbar darauf (nach einer Woche Pause) gleich wieder befreit.

Wofür war das ganze jetzt gut? Nimmt er noch mal Reißaus von der LE? Wird er jetzt dekorativer Einrichtungsgegenstand in der Zentrale von PRAETORIA?

Diese Dramaturgie lässt mich etwas ratlos zurück. Eine finale siegreiche Konfrontation mit Shallowain wird sich auf Dauer kaum vermeiden lassen, ebenfalls eine weitere Begegnung mit seiner Mutter. Und auch nach Arkon wird er wohl oder übel zurückkehren müssen. Leider ist als Charakter nicht so interessant, dass wir ihn beim Pingpong spielen, beim sinnlosen Hin- und Herreisen beobachten wollen.

Ein Hypersturm tut sich auf, Techno-Babel in einem Lukas Roman. Die Realität mutiert, Gleiter verhalten sich wie Gummi- Boote, Dinosaurier trampeln durch die Gegend, alles ist möglich, nichts ergibt einen Sinn. Zeit und Raum verformen sich.

Gut gemeint, aber diese Ewerssche Einlage hätte ich nicht gebraucht. Ich habe keine Ahnung, ob's vom Expose vorgegeben war oder Leo Lukas ein vermutlich eher dünnes Expose mit einem möglichst bizarren und unwirklichen Setting ausfüllen wollte? Wäre ich nicht am Ilt und dem Maulwurf interessiert gewesen, wären das ideale Seiten zum Querlesen gewesen. Es spricht also für Lukas, dass ich das brav unterlassen habe. Aber glücklich war ich mit diesen gut 20 Seiten nicht.

Aus einem "Vielleicht-Klassiker" wurde damit ein durchschnittlicher PR-Roman mit guten und sehr guten Ansätzen, der erfreulich frei vom Overkill an Anspielungen auf "unsere" Pop-Kultur war.

Fazit:

Zumindest zurzeit kann Leo Lukas wohl gar nicht ganz "daneben" liegen. Und ich hoffe, dass bald einmal alles passen wird: Das Expose, der Kontext des Plots, die Schreiblaune und Begeisterung von Lukas, dann muss wieder mal ein Roman herauskommen, der bei irgendwelchen Umfragen nach den zehn oder 20 besten PR-Romane mit dabei ist.

Falls man mir in mittelfristiger Zukunft die Lust am PR-Lesen wirklich verleiden könnte, könnte ich mir glatt vorstellen, die Lukas-Romane trotzdem weiter zu lesen.

Ach ja: Der Vergleich mit Quinthata bietet sich vom Autoren her an. Auch dort verschlug es die Helden in eine etwas oder besser sehr unwirkliche Umgebung. Diesen Vergleich verliert dann 2210 aber trotz Maulwurf und Ilt.

Rudolf, der das Gefühl hat, dass irgendwann mal wieder ein richtig guter, altmodischer, gemeiner, böser, niederträchtiger Verriss fällig wird...

 

Dieses Visier wurde verfasst von Rudolf Thiess