Im Visier 2218

Zugrunde liegender Roman: Ernst Vlcek - Die Epha – Matrix

Vorbemerkungen und Plot

Welcher nahe liegende Gedanke könnte sich aufdrängen, wenn
das TiBi zu einem Roman mehr Reaktionen und Kommentare der
bekanntermaßen argusäugigen Leser hervorruft als der Text
desselben?

Aber ob der durch die Formulierung obigen Satzes implizierte
negativ gefärbte Gedanke auch gerechtfertigt und richtig wäre...?


Plot:

Arbeitslos gewordene Motana aus dem Tiefbaugewerbe werden nach
hyperimpedanzbedingter Schrottreifwerdung technikbetriebener
Raumschiffe von spitzstacheligen Igeloiden professionell aber
wenig wirtschaftlich dazu motiviert, sich wie dereinst wieder
in Welt- und Hyper-Raum zu singen, wo sie beim ersten angesungenen
Zielplaneten auf PR und den in herzchenförmigen Blasen redenden Atlan
treffen und gemeinsam dem skrupellosen Oberigelbösewicht sein
verdientes Ende bereiten.

Tei 2

oder...

Neulich in den Katakomben bei VPM:


(aus Gründen des Persönlichkeitschutzes wurden die im
folgenden auftretenden Personen durch Namenskürzel und
falsche Dialekte unkenntlich gemacht.)


A1: A Jammer is des. Metagrav. Transmitter. Linearraum.
Halbraum. Hyperraum. Septadings. Sextadings. Semimedidesi-
überdings... Eintauchgeschwindigkeiten, Relativ-
geschwindigkeiten.... Wer soll da noch durchblicken?

A2: Dasch isch doch gansch einfach, lasch dir erklären...

A3: Ein Wort mit Zehn hoch irgendwas und ich werd' mächtig
böse, aber so wirklich mächtig böse!

R1: Die Leser wolle spannende Gschichtle, aber nur ganz
wenige wolle so ein Raumschiffle gleich nachbauen könne.
Und manchen wird's schon richtig schwindlig, wenn's Perry
zu schnell durch die Hinterhöfle des Universums zischt.
Tempo 130 auf Autostrassle ist angsagt, da dürfe wir
unsere Vorbildlefunktion nit vernachlässige.

A4: Schon beim Schreibn wird ma manchmal ganz schummrig.
Eine Sekunde und a bisserl was, und die SOL ist über alle
Berg. Wie soll i da eine zünftige Schiesserei in der kurzen
Zeit veranstalten können?

R1: Weg mit de ganze magische Triebwerkle und Hyperdingsle...!

A2: Neeeeein. Nur über meine tote Leich!

E1: Leg das Messer weg, das had er nicht so gemeind. Ich mach
das schon. Das Münchhausendriebwerk had mir eh nie
gefallen, und die schrecklichen Schutzfel... äh Schirme
sind dodal uncool. Und bei Gigaböller denken die Leser
doch nur an irgendwelche Festpladden. Wir schrauben jetzd
ein wenig hier an diesem am nächsten Nukleodiden
angeschlossenen Drucker, und die Dadenblätter, die raus
kommen, sehen ein klein wenig anders aus.

A2: Die gansche Arbeit mit den Datenblättern, dasch könnt
ihr doch nischt tun...

R1: Da hat er nit so unrecht. Mir fällt grad ein, dass de
ganze Blattle alle was gekostet habe.

E1: Lassd mich doch ersd mal erklären!
Also, ich habe da immer nur irgendwas von irgendwelchen
Frequenzen gelesen. Wo immer die beim Auspuff auch
rausgekommen sein sollen. Aber ganz ruhig, vertraud mir,
ich weiss, was ich du. Die Frequenzen dürfen bleiben,
dann mussd nur die Wörder dazwischen ausbessern.

A2: Frequenschen ohne Raumschiff und Schutschschirme?

E1: Nimm dir 'nen Keks und beruhig dich ersd mal.
Raumschiff' bleiben uns schon erhalden, nur den
ganzen Technobabbele werfen wir weg.

A2: Mein Technobabbele? Nur über meine vergrabene Leich!

E1: Wir passen uns nur dem Geschmack der Zeid an. Metagrav
ist oud, aber Singen ist in. Damit machd man Quote. Und
ganz viel Kohle.

(R1 nickt begeistert.)

E1: Ab soford singen wir unsere Raumschiffe in den Weldraum.
(Blickt die Umstehenden freudestrahlend an.)

(Schweigen)

R1: (applaudiert) Grenzgenial, und wir nenne das neue
Zykle "Perry sucht den Superstar"... Mei Göttle,
damit kriege wir glatt auch das Bare für unsere
Filmle rein.

E1: Wenn sein muss, schreib ich dir das gegen Zyklusmidde
auch noch rein.

A2: Aber wie scholl ma denn mit Schingen ei Raumschiff
insch All kriegen?

E1: Sing mal einen Ton!

A2: Aaeh, wasch?

E1: Einen Ton, ist doch nichd so schwer.

A2: Aeh... la... la.... la....

E1: (Zu A3) Und jetzd du!

A3: Do...

A4:
Re...

A5: Mi...

E1: Und wenn wir jetzd ein paar Elekdroden an eure Sdirn
setzen, könnden wir sehen, wie sich da drinn einiges
tud. Wie bei einem Telepathen. Oder Telekineden...
Konzentrierd euch mal auf den Löffel da. Und lassd
ihn beim Singen hochschweben...

Ax (alle): Daaa da daaa da... Da rührt sich nix...!

E1: Weil ihr nur Menschen seid, und noch nichd mal
Sänger. Aber mein neues Volk, das ich mir in vielen
schlaflosen Nächden jetzd ausdenken werde, kann das.
(Sein Blick fällt auf ein zufällig am Tisch liegendes
Fantasy-Cover von Frazetta).

A3: Telekineten? Hatten wir doch schon.

E1: Keine Telekineden. Sänger. Die singen ihre
Schiffe durch den Hyperraum. Das isd die Rückkehr
von kosmischen Wundern, Magie und neuen Möglichkeiden.
Und jeder kann sich under diesem Andrieb edwas
vorstellen. Jeder had schon mal jemanden singen
gehörd und sich denjenigen dabei auf den Mond
gewünschd.

A2: Aber meine Datenschammlungen...?

E1: Müssen ein klein wenig umgeschrieben werden. Aber
denk mal, Singen und Frequenzen, das passd doch
wunderbar zusammen. Das verstehen wir anderen
vielleichd sogar. Und auch ein paar Leser. Je höher
der Ton, desto schneller. Je lauder, desto weiter.
2 Dezibel mehr sind zwei Lichdjahre zusätzlich.
Und wenn wir mid einem Raumschiff mal ganz schnell
verschwinden müssen, haben wir einfach den Super-
Uebersänger, den Sieger der letzten Casding-Show,
an Bord. Und wenn wir für eine zünfdige Schlachd
mal nichd so schnell abhauen dürfen, sind ein, zwei
Sänger hald grad im Sdimmbruch. Und wenn wir der
Meinung sind, dass unsere Schiffe insgesamd mal wieder
schneller oder langsamer sein sollen, können wir
das einfach mid einer neuen Gesangs-Modeerscheinung
erklären. Die hald andere UEL-Fakdoren mit sich
bringd. Dann sind wir den läsdigen Kerlen in der NG
endlich über. Wir können ihre dauernden Einwände
schneller wegsingen, als die die Fragen stellen können.

R1: Das mache wir, das mache wir!

A2: Aber woher nehmen die denn die Enerschie dafür? Schoviel
können die armen Schänger doch gar nicht esschen, um
gansche Raumschiffe auf UEL schu bringen. Dagegen schind
Ertruscher und Okschtorner kleine Fische.

R1: Du machst das scho. Lass sie do das Hyperräumle
anzapfe.

A2: Aber den hab'n wir ja erscht auf Nachtschtrom
umgeschaltet und Akkuschs hab'n wir auch auf den Indeksch
getan.

E1: Seid wann müssen wir Mutanden gross erklären. Die
können das, und Basda! Die Leser werden Choräle vor
Begeisderung singen! Mid dem Burgersong durchs
Weldall, eine Vollbremsung mit Celine Dion. Mid
dem Schlumpflied in die Raumschlachd.

R1: So, jetzt brauche wir no eine Kollege, der das
frohe Botschaftle an de Leser weitergibt. Na, du schreibst
a Kommentarle, du holst uns a knackigs Salatle aus
der Küch, du kümmerst di erst um diese seltsam
graue Hündle, dass drausse im Vorraum trompeten
tut, du schaust da erst mal ein paar Charles-Bronsle
Filmle als Vorbereitung für dein Polypen-in-Terrania
Heftle an. Hmm, bei dir wird doch Walzerle getanzt, oder?
Da wird immer a schöns Musile dazu gespielt. Dir gehört
die Geschicht.

A5: Servas die Buam, i glaub, i hab ka Zeit.

E1: Kriegsd auch ein schönes Expose. Das rockd und swingd
dann so richdig.

A2: Am beschten erklärscht erscht mal die ganschen Geschangsch-
parameter. Dur und Moll. Kadenschen und Disschonanzen.
Die Frequenschen kriegscht eh von mir. Vielleicht im
Hintergrund a kleine Remineschzens an Lemurer und
Querionen, wie die dasch Schingen erfunden haben.

A3: Und einer der Sänger ist ein klein wenig verrückt, der
dreht durch, wenn jemand ein zweigestrichenes cis singt.
Und versucht, die Chorleiterin umzubringen.

A8: Und der Bösewicht könnte an einer bösen, unheilbaren
Krankheit leiden, sagen wir... Hühneraugen. Oder
Stachelausfall.

A6: Auf jeden Fall muss zum gelungenen Start in den Weltraum
eine Flasche Wein getrunken werden.

Z1: Und es muss unbedingt eine Amazone mit Bogen vorkommen.
Am besten in Reizwäsche von Beate Uhse.

A7: Und der Held spricht ein paar Mal mit sich selbst. Dann
erkennt der erfahrene Leser gleich, dass das große
Literatur ist.

A4: Eine Actionszene am Schluss. Vielleicht in Zeitlupe.

A5: Und ich muss wirklich nicht so tun, als würde ich so
einen utopischen Weltraumroman schreiben? Wenn i jetzt,
bitte schen, noch aan Dämon einbaun dürft?


Und wenn sich die Herren in Grau geeinigt haben, sollte
am 19. Februar im Jahre des Herrn 2004 das getane Romanwerk
in den Bestsellerlisten auftauchen..

 

Rezension

Positives:

Wieder einmal, der Trend wird allmählich zu einem konstanten
Faktor, ist an dem Roman an sich und für sich selbst stehend
wenig auszusetzen. Nette POV-Charaktere, ein zunehmend
dämonisch werdender Bösewicht, dessen Ende erwartet und
dennoch mit befreiendem Applaus bedacht werden kann, zwei
Rivalinnen, die ohne Schwestern zu sein, ihre Art eines
Familienzwists austragen. Auch ohne große Actioneinlagen
zügig und flott zu lesen, ein solider No-Nonsense Roman,
bei dem Helden und Schurken zumindest streckenweise sogar
vernünftig agieren dürfen. (Betonung auf "streckenweise".)

Zumindest mir gefallen handwerklich und stilistisch die
(meisten) Romane im Sternenozean besser als ihre in der
Milchstrasse handelnden Gegenstücke. Auch erkennbar
unwichtige Figuren scheinen mir da besser und liebevoller
skizziert zu werden.


Neutrales:

Aber wie bei fast allen Sternenozean-Romanen vermisse ich
das erwartete und gewohnte PR-Flair. Das nagende Gefühl,
dass da Romane aus einem _anderen_ Universum sich unbefugt
im Perryversum ausbreiten, will nicht vergehen. Nach
mittlerweile sieben Heften ist das keine schnell mal
dazwischen geschobene Erholungspause von Stress eines sich
einem Endzeitstadium nähernden Universums.

Alle diese Romane hätte ich, stellenweise ein klein
wenig gestrafft, außerhalb der Serie mehr genossen.

Ernst Vlcek hat einen im Vergleich zu seinem Vorgängerroman
in weiten Passagen lesbareren und glaubwürdigeren Roman
geschrieben, auch wenn ich mich an viele Romane von ihm
erinnere, die ich als deutlich "stimmungsvoller" und
aufregender empfinde.

Unser Igel-Bösewicht darf doch tatsächlich Prioritäten
setzen und seine vorher unabkömmlichen Bergbausklaven
zu Raumfahrern umschulen. Das ist mehr als ich gewissen
tradomischen Heerführern zugetraut hätte. Ein flexibler
Schurke. (Man wird leider in seinen Ansprüchen sehr
bescheiden... )


Negatives:

Ein wenig übertrieben ist die Motivationsstrategie der
Igeloiden bzw. des Oberschurken schon. Die für die
Raumfahrt auf absehbare Zeit womöglich unentbehrlichen
Motana reihenweise umzubringen, könnte sehr leicht eine
Vergeudung unersetzlichen Potenzials sein. (Rein "technisch"
und ohne moralischem Hintergrund gedacht.)

Und Todesängste ausstehende, nervöse Sänger könnten
anstatt entsprechend "motiviert" sein, auch schon mal aus
reiner Panik den falschen Ton herausbringen.

Mit der Hyperimpedanz scheinen auch Energieerhaltungssätze
und ähnliche physikalische Belanglosigkeiten über Bord
geworfen zu werden.

Es ist ja schön, dass irgendwelche Mutanten ihre Raumschiffe
in den Weltraum singen. Zuerst kleine Steine, dann Igel
in den gefährlichen "roten" Uniformen, dann Plattformen
und schließlich ganze Raumschiffe. Bis der Satz fällt,
dass die Größe des Schiffes nicht wirklich von Bedeutung
ist.

Vermutlich hängen auch Beschleunigung und hoffentlich
vorhandene Schutzschirme allein vom "Wollen" und "Können"
der Sänger ab. Und es ist kein in uns Menschen vertrauter
Maßeinheit anzugebender Energieeinsatz mehr notwendig,
um die entsprechende Masse zu bewegen und zu beschleunigen?

Mit 20 Sänger von 0 auf 50% LG in 100 Sekunden, mit
deren 100 dann nur noch 30 Sekunden?

Bilden zwei Chöre dann einen Zweitakter?

Die Handwedelei von Metagrav, Semimanifestation, Hyper-
Anreichung und ähnlichen wird also ersetzt durch den
magischen Choral-Antrieb, dessen Parameter von Anzahl und
Qualität einer Anzahl von Mutanten abhängt.

"...Wirkungsgrade gibt's nicht mehr und auch keine Düsentriebs,
traurig zieh ich meine Runden, seh' die Welt in Trümmer liegen,
hab' nen Metagrav gefunden. Denk' an Kalup und lass ihn fliegen..."

(Natürlich wäre diese Anmerkung auch schon im letzten
Heft angebracht gewesen, aber diesmal war das Raumschiff-
Singen doch zentrales und einziges Thema des Romans.)


Wie glaubwürdig ist es, dass Wesen, die Raumschiffe (und
Felsen und Plattformen) in den Weltraum "schießen" können,
ein paar unterbewaffnete Igel-Bösewichter nicht in einer
konzentrierten, schnellen Aktion dorthin befördern können,
wo der Pfeffer wächst? Schneller, als irgendeiner von
diesen auf das berühmt-berüchtigte Knöpfchen drücken
kann?

Die Rivalin unserer Heldin wollte das Schiff mit ihrem
Peiniger an Bord ins Verderben steuern - wenn man sie nur
an die Chorleitung herangelassen hätte.

Was hat sie und ihre Leute davon abgehalten, genau das zu tun?
Einen "Störgesang" zu singen, egal wo ihre Gruppe sich
aufhält? Zwei Gruppen, die ihr Schiff in zwei Richtungen
singen? Das hätte ein leicht zerbrechliches Igel-Schiff (siehe
2117) schnell ins Nirwana bringen sollen.

Tolles Timing, übrigens, zwischen PR und den Baikhal-Motanas.


Fazit:

Siehe mein Fazit der Vorwoche. Wenig böse Worte zum Roman
an sich, aber meine Neugier auf den Roman der nächsten
Woche, meine Neugier auf das größere Umfeld, wird still
und einfach nicht geweckt.

Der Thrill, der Drang, ganz schnell zu erfahren, was als
nächstes geschehen wird, kommt nicht. Ohne den (selbst-
auferlegten) Zwang hier in der NG mitreden zu wollen, würden
die Romane, die derzeit erscheinen, wohl auf einem größer
werden Stapel "demnächst, wenn mal Zeit ist" landen, oder
gar auf den "irgendwann einmal" Stapel.


Rudolf

PS:

Die Länge der "Positiv" und "Negativ" Blöcke an sich
sollte kein Gradmesser zur Beurteilung des Romans sein.
Über die Details, die nicht gefallen, lässt sich
schlichtweg interessanter und lebhafter diskutieren.

 

Dieses Visier wurde verfasst von Rudolf Thiess