Sprachnörgeleien 2287
Zugrunde liegender Roman: Uwe Anton - Die Träume der Schohaaken
Diesmal ausnahmsweise etwas ernsthafter.
S.5: "wieder einmal schier endloses Staunen" S.17: "in den schier unendlichen Weiten" S.17:. "mit schierem Entsetzen" S.22: "ist schier aussichtslos" S.50: "Schier undurchdringlicher Rauch" S.55: "der schier unerträgliche Druck"
Das Wörtchen 'schier' habe ich im Rahmen der Sprachnörgeleien
schon öfter moniert. Es ist antiquiert und entspricht nicht mehr heutigem
Sprachgebrauch. Vor langer Zeit habe ich mich selbst mal damit beruhigt, dass
das Perryversum eben auch ein Sprachbiotop für vom Aussterben bedrohte
Wörter sein könnte und man das 'schier' wohlwollend
als Sprachmaskottchen der Serie einstufen könnte. Nach diesem Roman weiß
ich, dass es damit nicht getan ist.
Ich bleibe ein entschiedener Gegner dieses Ausdrucks.
Ist das nun einfach übersteigertes subjektives Sprachempfinden oder gibt
es dafür objektive Gründe?
Nehmen wir das 'schier' im Ausdruck 'mit schierem Entsetzen'.
Hier ist es einem Substantiv vorausgesetzt und bedeutet so etwas wie 'rein,
ohne Zusätze oder Beimengungen'. Gegen diesen Wortgebrauch sträubt
sich bei mir nichts – abgesehen von der Frage ob der Ausdruck noch zeitgemäß
ist.
Ganz anders ist das, wenn das 'schier' einem Adjektiv vorangestellt
wird. Vor einem Adjektiv hat das 'schier' eine relativierende
Bedeutung. Es macht darauf aufmerksam, dass das folgende Adjektiv überzogen
ist und nicht so recht ernstgenommen werden darf:
Der Druck ist nicht unerträglich, denn er wird ja ertragen. Der Rauch
ist nicht wirklich undurchdringlich, den er wird natürlich durchdrungen.
Das Staunen ist nicht endlos, denn natürlich hört es irgendwann
auf – sonst könnte es ja auch gar nicht 'wieder einmal'
auftreten, usw..
Was bedeutet also der häufige Gebrauch des 'schier'? Dass
der Autor bombastische Adjektive verwendet, die dem Inhalt gar nicht angemessen
sind und nur dazu dienen, dem Text eine vermeintlich größere Bedeutung
zu verleihen – eine Bedeutung also, die ihm eigentlich gar nicht zukommt.
Und das wiederum gilt in der Literaturkritik nicht zu Unrecht als ein klares
Merkmal für Schundliteratur.
Man mag darüber streiten, ob bombastische Sprachwahl ein angemessenes
Stilelement einer latent an Gigantomanie leidenden Science-Fiction-Geschichte
sein kann. Ein leichter Beigeschmack von minderwertiger Literatur bleibt aber
immer und wird vor allem dann aktiviert, wenn man als Leser durch das Wörtchen
'schier' auf diesen Zusammenhang explizit aufmerksam gemacht wird.
Deshalb meine herzliche Bitte an die Autoren: Verbannt das Wort in die Ablage.
Es gibt zudem genügend Synonyme, mit denen man bombastische Adjektive,
sofern sie denn Teil der Serienkultur sein müssen, relativieren kann
und die bei entsprechender Streuung und Variation weniger übel aufstoßen.
Ein Leidender dankt schon mal im Voraus.
Diese Nörgelei wurde verfasst von Kritikaster