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Im Visier 2239
Zugrunde liegender Roman: Rainer Castor - Verrat auf der Kristallwelt
Vorbemerkungen und Plot
Die schoenste Idylle muss einmal ein Ende haben. Auch Schonzeiten gehen vorueber. Wieder mal wird also die schweisstreibende, in schlaflosen Naechten erarbeitete schriftstellerische Leistung eines armen Autoren von einem nimmerzufriedenen, besserwisserischen undankbaren Leser durch den diesmal schon ziemlich kalten Kakao gezogen.
Mein besonderer Dank gilt dabei Rainer Castor, der mir nicht nur den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt, sondern das Tor auch rechts und links bis zur 16er-Linie erweitert hat und den Tormann vom Feld schickte.
Vorabwarnung: Der erzaehlerische Nadir des Zyklus ist mit 2139 hoffentlich erreicht. Was folgt ist ein Verriss in zwei Teilen. Die Muehe und Arbeit, die Rainer Castor in den Roman gesteckt hat, will ich gerne anerkennen und vorab in den Raum stellen. Ansonsten werden sich meine positiven Gedanken zum Roman eher in Grenzen halten.
Plot:
Arkon, die Perle der Milchstrasse, die Wiege galaktischer Kultur, der Hort der Monarchie, die Heimat so mancher Kelche, die endlich einmal an einem Noergler von sorglosem Naturell voruebergehen koennten.
Arkon, schwer getroffen von der exposeweiten Hyperimpedanz, wo immer noch hunderte Arkoniden mit ueblem Mundgeruch herumlaufen, weil die syntronischen Zahnbuersten ihren Geist aufgegeben haben und die Umruestung auf Positronikbetrieb noch nicht abgeschlossen ist. Arkon, wo die handelsueblichen Marktpreise fuer weganischen Trueffel um mehr als 30% angestiegen sind, weil sich die Transportkosten aufgrund kleinerer technischer Probleme stark verteuerten. Arkon, wo im letzten Halbjahr nur 20 statt der ueblichen 22 Folgen der seit Jahren unangefochten beliebtesten Trivideo-Serie "Bostich, der Erbe des Universums" mit sichtlich schwaecheren PGI-Effekten (anstatt der frueheren perfekten SGI-Holobildern) produziert werden konnten.
Arkon, wo der unumschraenkte, unsterbliche Herrscher Bostich durchgesetzt hat, dass Teile des nicht laenger syntronisch- erhaeltlichen oertlichen Telefonbuchs in den seit einiger Zeit boomenden Belletristik-Epen ueber "Bostich, den Mann im All" auf echtem strukturverhaerteten Arkonpapier abgedruckt werden.
Arkon, wo kaum jemand je erfahren wird, dass ein vermeintlicher Verrat unter hohen Wuerdentraeger, die auf den Seiten 156756 - 167982 des oben genannten Telefonbuchs geschlossen aufgefuehrt wurden, dank der goettlichen Eingebung des Imperators vereitelt werden konnte. (Wo sogar gar nicht wenige Leser besagter Arkonepisode die dem Verrat gewidmeten viereinhalb Absaetze glatt ueberlesen haben duerften.)
Arkon, wo tote Imperatoren nicht muede werden, in an Zeitschleifen erinnernden Rueckblenden zu erzaehlen, wie Bostich I. zu Bostich dem Ersten wurde.
Wo ein begnadeter Wissenschaftler noch immer an seiner nicht- adeligen Vergangenheit leidet und wieder und wieder das Trauma seines Werdeganges durchleben muss. (Und nebenbei ganze Akademien an Fachwissenschaftler ersetzt.)
Wo ein bekannter Autor trinkfester Womanizer-Helden seines geliebten Sternenvogels beraubt wird und sich kuenftig wohl mit dem Schreiben von Duellen zwischen Hunden und Ameisendressierern ueber Wasser halten wird.
Arkon, wo Epen in den technischen Beschreibungen von Stosswellen- generatoren abgehandelt werden und nicht in Heldenliedern. Wo besagte Epen nicht in Jamben und Hexameter, nicht als Distichon, geschrieben werden, sondern in Stichwoertern und Akronymen.
Wo ein geplanter Staatstreich in der groessten Militaermacht der Galaxis eine willkommene Gelegenheit ist, an die wenig denkwuerdige Begegnung eines unsterblichen Schwerenoeters mit seiner bereits erwachsenen Tochter vor vielen Jahren zu erinnern.
Arkon, wo das Leben seinen alltaeglichen Lauf nimmt, auch wenn das Wirtschaftswachstum im Jahr der HI nur sehr bescheiden anwachsen wird.
Arkon, wo das wichtigste Ereignis der kommenden Monate eine _sportliche_ Grossveranstaltung sein wird, die auf kleine Unannehmlichkeiten wie HI keine Ruecksicht nehmen kann.
Arkon, wo es mehr Adelstitel als Adelige gibt.
[Hat eigentlich noch jemand das Heft mit dem 800-seitigen Extra "Korrekte Anreden fuer Hoechstedle bei Cocktailparties und geheimen Verschwoerungen" bekommen?]
Tei 2
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Und zum Abschluss noch einmal die allseits gefuerchtete Rubrik "Peinliche Anfragen, Zuschriften und Drohungen unterbeschaeftigter Romanfiguren an ihre Autoren":
"Lieber Rainer,
Du bist sicher der letzte, der nicht weiss, wie sehr ich zur Zeit beschaeftigt bin. Vormittags haenge ich meist in der Obsidian Kluft von irgendeiner Klippe, dass ich schon Schwielen an den Haenden habe, und nachmittags hole ich mir an den Fuessen ebensolche bei den langen Wanderungen durch die diversen Waelder und Inselparadiese in Jamondi, vom abendlichen Hoersturz durch zuviele gesungene Motana-Lieder ganz zu schweigen. Dass der Herr Frick mir aus Spargruenden den Visagisten gestrichen hat und ich mir seit einiger Zeit die Umkleidekabine mit diesem faden Rhodan teilen muss, will ich erst gar nicht laenger ausfuehren. Trotzdem habe ich die kleine Gastrolle in deinem letzten Roman ohne zu zoegern angenommen. Weil du es bist. Und ich mir eine kleine, feine und zuenftige Raumschlacht erwartet habe. Nur wusste ich nicht, wie klein die Rolle tatsaechlich ausfallen wuerde. Musste es wirklich sein, dass ich die Mittagspausen einer ganzen Woche opferte, nur um mich vor meiner Tochter, die noch dazu ohne mein Wissen in das Expose geschrieben wurde, wie ein Heinz Erhardt Verschnitt zu benehmen? 'Mir ist ein Gebirge vom Herzen gefallen!' Ich bitte dich, ich bin ein 20-tausendjaehriger Unsterblicher mit etlichen hundert Toechtern. So seltsam habe ich mich noch vor keiner von ihnen benommen..." "Reicht es nicht, wenn mein Kollege Rhodan sich mit seinem Nachwuchs herumschlagen muss? Im Gegensatz zu dessen Schoesslingen kommen meine Sproesslinge ganz gut alleine zurecht." "Was soll eigentlich der Unsinn mit der Neuen USO, die ich so einfach und kommentarlos diesem oxtornischen unbehaarten Affen ueberlassen habe? Ich war schon Anfuehrer und Alphamaennchen, als die Vorfahren dieses Haudraufs gerade das Feuer erfunden haben. Dauernd zu erzaehlen, dass ich mit einem Beraterjob zufrieden sein soll, das empfinde ich eigentlich als berufsschaedigend..."
Atlan; Imperator, Lordadmiral, Einsamer der Zeit, Ritter der Tiefe, GdN, seit 1322 NGZ Sozialhilfeempfaenger
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"Sehr geehrter Herr Castor,
leider scheint es bei der Auslegung unseres Arbeitsverhaeltnisses zu einem kleinen, bedauernswerten Missverstaendnis gekommen zu sein. Ihr Castingbuero suchte doch einen Elitekralasenen fuer eine Hauptrolle in einem actionbetonten Spionagethriller im Zentrum des Arkonidischen Reiches waehrend des grossen galaktischen Zusammenbruchs? Noch nach dem Vorsprechen klopfte mir ihr Castingchef Claus da Frick hochzufrieden auf die Schulter und sprach von einer sensationellen Jahrhundertrolle, die selbst dem Spezialagenten 707 Konkurrenz machen wuerde.
Vielleicht haette ich stutzig werden sollen, als ich anstelle eines kompletten Drehbuchs nur ein paar Textseiten erhielt, die nicht viel mehr als den Prolog des Gesamtwerkes darstellen konnten. Anstelle eines spektakulaeren Stunts duerfte ich nur einen Plausch mit einem altgewordenen Agenten- kollegen fuehren und dabei das Who's Who des arkonidischen Adels vorlesen. Einen Goldenen Scheer oder gar den Deutschen SF-Preis werd' ich dafuer kaum bekommen.
Allerdings hoffte ich da noch, dass ich wenigstens eine ordentliche Finalszene bekommen wuerde, ein Duell auf Leben und Tod inmitten rollender, jederzeit detonierender Arkon- bomben mit dem Schurken der Woche, oder wenigstens eine Schiesserei mit dem Psycho der Woche oder im schlimmsten Fall einen Kampf mit dem Nashorntiger der Woche. Sogar ein Ringkampf mit einem ueberlegenen siganesischen USO-Spezialisten haette mich noch halbwegs versoehnt.
Leider sieht die Realitaet aber ganz anders aus. Nachdem ich mir das fertige Manuskript auf dem Schwarzmarkt im Ebay-Basar besorgt hatte, musste ich lesen, dass mein zweiter Auftritt nur noch als Leiche stattfinden wuerde. Ein Nebensatz nur, nicht mal eine Sterbeszene.
Das muss ein Irrtum sein, sicherlich hat der Setzer da ein paar Seiten verschlampt, oder terranische Saboteure haben zugeschlagen?
Anbei ein paar kleine Vorschlaege meinerseits, in denen der von mir zu verkoerpernde Kralasene den Imperator, das Imperium, die Milchstrasse und den lokalen Haufen rettet, die kaputte Sicherung der HI repariert, von den Kosmokraten einen ganz speziellen Superaktivator erhaelt und endlich die Tochter des Imperators heiratet..."
Asughan, Kralasene
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"Hi, Rainer,
es war ja nett von dir, dass du endlich mal meinen Vater fuer einen kleinen Plausch zu mir geschickt hast. Der Alte scheint mir aber schon ein bisschen senil zu sein. Kein Wunder, dass Rhodan und Monkey ihm keine Fuehrungsposition anvertrauen wollen und ihm so schnell ein paar Jahre Urlaub zum Erledigen familiaerer Angelegenheiten gegeben haben.
Geschichten erzaehlen kann er ja, aber musste er mir wirklich die Namen aller Jungen in seinem frueheren Jugendhort aufzaehlen und wer wann welchen Streich an welchem Lehrer gespielt hat? Ich hab' ihn doch nur noch seinen Eindruck von den Kosmokraten gefragt.
Und weil ich schon beim Fragen bin: Wer ist denn dieser seltsame komische alte Mann, der mich dauernd begleitet, dieser Catto da Calur? Ich hatte tatsaechlich gedacht, dass er und Atlan sich kennen wuerden, aber dem ist anscheinend nicht so? Nun, vielleicht brauchen beide auch nur eine Brille? Oder ein Hoergeraet?
Wie steht's eigentlich mit unserem "kleinen" Plan? Hast du ihn diesem Expokraten, von dem du dauernd sprichst, diesem Feldhoff, schon schmackhaft gemacht? Langsam komm' ich ja in die Jahre, und wenn ich je eine Hauptrolle in dieser Serie bekommen soll, duerfen wir nicht mehr lange abwarten. Der junge Rhodan-Halb- terraner ist laengst im heirats- und zeugungsfaehigen Alter. Nicht Atlan, sondern ihn haettest du mir, wie abgemacht, vorstellen sollen. Da habe ich das Kleine Schwarze voellig umsonst angezogen.
Pass auf den Jungen bloss gut auf. Ich dachte vor ein paar Wochen schon, jetzt geht er vor die Hunde. Nach dem Debakel mit Delorian habe ich laenger als die legendaere Gudrun darauf warten muessen, bis eine neue Generation Rhodan-Ableger heranwaechst. Noch einmal steh' ich das nicht durch, dann koennte ich den Jungen nur noch als Grossmutter adoptieren. Und dafuer gibt's sicher keinen Zellaktivator, und Dynastien werden auch anders gegruendet.
Aber das der Nebenrollen-Bostich glaubt, _er_ haette den Plan mit Kantiran ausgeheckt, das wird als einer der grossen Witze in die galaktische Geschichte eingehen."
Jasmyne da Ariga
"PS. Manchmal komm' ich mir vor wie ein Molekuelverformer. Nicht weil ich so veraenderbar bin, sondern weil kein einziger deiner Kollegen auch nur je ein Wort ueber mich verlieren will."
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"An den Ziemlich-Edlen Rainer da Castor, custos armorum des Expokraten Robert da Feldhoff
Von seiner Erlauchten Hoechstedelheit, dem hochwohlgeschaffenen Bostich I, dem Licht der Erleuchtung...
[9860 Anschlaege mit den wichtigsten Titeln Seiner Majestaet gestrichen]
Ich protestiere auf das Schaerfste wegen der nicht genehmigten kurzfristigen Deaktivierung des systemumspannenden Kristallschirms.
Meine schoene Werft aus dem Hyperraum zu werfen war schlimm genug, aber schliesslich soll es nicht heissen, dass Arkon gaenzlich unbeschadet die HI ueberstanden hat. _Meinen_ Schutzschirm auszuschalten geht aber zu weit. Erstens blenden mich jetzt jeden morgen diese vielen Sterne in meinem Sternenhaufen, sodass ich stets unausgeschlafen und auch unkonzentriert an die Realisierung meiner finsteren Plaene herangehen muss. Zweitens koennen so Hinz und Kunz, Laurel und Hardy oder die Mitglieder der Augsburger Puppenkiste mein schoenes Arkonsystem unsicher machen. Und drittens hat der Kristallschirm eine halbe Milchstrasse an Chronners gekostet. Da darf ich schon eine gewisse Haltbarkeit des Schirms erwarten.
Nebenbei wiederhole ich meine Frage aus der letzten Depesche: Wie lange muss ich diese alberne Tussi Ascari noch ertragen? Ich mag nicht mehr laecheln, wenn ich sie als meine faehigste Mascantin vorstelle, mag ihr nicht mehr ins Silikon-Dekoletee schauen, und hasse es auch, wenn sie meine schoenen Kriegs- schiffe serienweise verschrottet. Das kann sich nicht mal Arkon auf Dauer leisten. Nachdem ihr Balg endlich volljaehrig ist und legal gemeuchelt werden kann, soll sie dieser Rhodan endlich erwuergen. Zu irgendetwas muss der Barbar doch gut sein.
Der Bluff mit der HI dagegen ist genial. Einfach von meinen Spionen ein paar EMP-Generatoren in der solaren Sonne und den LFT-Schiffen verstecken lassen, einen abgehalfterten, ausgebrannten Kosmokraten mit einer wichtigen Nebenrolle koedern, damit er diesem naiven Rhodan gegenueber eine kryptische Bemerkung macht, ein paar ueber die Galaxis verteilte Special-Effects veranstalten, und schon glauben diese Larsaf-Barbaren, dass das Ende des Universums nahe ist.
Investieren ihre Militaermacht in ein schrottreifes Monstrum mit Uralttechnik, binden sich und ihre Posbi-Streitmacht im unbedeutenden Hayok-Archipel und werfen die guten Syntrons weg, um sie durch Positroniken mit dem Innenleben alter Commodore-Rechner zu ersetzen. Wenn Ascari nur nicht beim Bluffen wieder mal uebertrieben haette und zu viele meiner schoenen Schiffe selbst gesprengt haette...
Aber was um Orbanaschols Willen soll diese Gon-Orbhon Geschichte? Die war zwischen uns ganz und gar nicht ausgemacht. Das ist doch voellig unglaubwuerdig und uebertrieben und unnoetig. Die ist so absurd, dass sogar die daemlichen Terraner Verdacht schoepfen koennten, dass da etwas nicht mit rechten und linken Dingen zugeht."
Bostich I.
[9860 Anschlaege mit den wichtigsten Titeln Seiner Majestaet gestrichen]
***
"Lieber Rainer,
nur ein ganz kleiner und gut gemeinter Hinweis von Kollege zu Kollege. Das mit dem Expose scheinst du mir ein wenig missverstanden zu haben. Aufgabe des ausfuehrenden Autoren ist es naemlich nicht, das 12-Seiten Expose auf 2 1/2 Seiten zu kuerzen und den Rest des Romans mit den aus Platzmangel aus diversen Kommentaren gestrichenen Texten aufzufuellen, sondern das 12-Seiten Expose zu einem 50-Seiten Roman auszuweiten.
Mit lieben Gruessen, Dein Expokrat"
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Rezension
Positives:
Rainer Castor scheint ein recht fleissiger, ordentlicher und gewissenhafter Schreiber auesserst durchdachter und informativer Texte zu sein. Die Lektuere nahezu jedes seiner Romane ersetzt zumeist ein bis zwei Dutzend anderer, vor- ausgehender Hefte, wenn es um den Ueberblick und die Relevanz deren Inhalte fuer die letzten 50000 Jahre perryversischer Geschichte geht.
Dabei macht er es den Lesern gar nicht leicht. Weder bietet er im Anhang einen vernuenftigen Index an, noch haelt er sich an die allgemein verbreiteten Regeln fuer Nachschlagwerke, Lexika und Almanache. Waehrend so mancher seiner Kollegen die Leserschaft oft straeflich unterfordert, ist beim ihm der Intellekt des Lesers gefordert, aus kunstvoll verschachtelten Rueckblenden, Einschueben, Zwischenspielen, Gebrauchsanleitungen, inneren Monologen und stichwortartigen Dialogen eine vernuenftige Reihenfolge der Geschehnisse abzuleiten, Vergangenes von Zukuenftigem zu trennen, Wiederholungen und voellig neue I nformationen zu trennen, Figuren der richtigen Epoche und dem richtigen Hintergrund zuzuordnen und sich im Gebrauch der mathematischen Schreibweise grosser Zahlen zu ueben.
Auch wenn das obige vor allem im gegenstaendlichen Fall natuerlich sarkastisch gemeint ist, handelt es sich dabei, eine gewisse freiwillige Selbstbeschraenkung und Sparksamkeit beim Einsatz vorausgesetzt, durchaus um _Tugenden_. Leider aber gibt es Momente, in denen gerade solche Tugenden nicht wirklich gefragt sind. Momente, in denen man z.b. schlicht und einfach in eine Fantasiewelt eintauchen will und eine nette, spannende, lustige, traurige, ruehrende, aufregende, exotische, ueber- raschende Geschichte lesen will.
Der Erkennungsfaktor eines typischen "Castors" ist hoch, sehr hoch... Seltsamerweise sind es fuer mich weniger (wie eigentlich erwartet) die Romane von Leo Lukas, sondern die von Castor, die damit fast schon "Kult" sind.
Aber leider...
Negatives:
"Kult" ist nicht immer ein positives Qualitaetsmerkmal. Nicht nur die "Rocky Horror Picture Show" und Heiz Erhardt sind Kult, sondern auch Nierentische und die Filme von Ed Wood.
Da Castor ein weit hoeheres Budget fuer seine Massenszenen zur Verfuegung steht als ein Ed Wood es je hatte, vergleiche ich vor allem seine letzten Romane dann doch lieber mit den Nierentischen der 50er Jahre:
Auffaellig und bei der Auslieferung auf Hochglanz poliert. Aber weder sehr praktisch noch nach einiger Zeit besonders originell. Und irgendwie ueberhaupt nicht ins restliche ganz anders moeblierte Wohnzimmer passend. Und wer so ein Ding einmal gesehen (gelesen) hat, vergisst es so schnell nicht wieder. Und freut sich schon auf den schlichten, konventionellen, praktischen und sich einfuegenden Tisch zu Hause.
Ganz schlimm wird es, wenn besagter Nierentisch aus dem Fundus von Ikea kommt und anhand einer fremdlaendischen Bauanleitung aus 48 Teilen plus zugehoerigen Schrauben selbst zusammengebaut werden muss. Und aus Versehen (oder Absicht) ein paar Teile eines Schrankes mit in die Verpackung gerutscht sind.
Was bietet uns der Roman des Anstosses also?
Eine Verschwoerung auf Arkon. Das klingt schon mal viel- versprechend. Die groesste Militaermacht der Galaxis, die noch vor kurzem einen recht unverhohlenen Angriff auf die LFT plante. Das ganze kurz nach dem HI-Schock. Droht der Aufstand gegen Bostich, der Rhodans Warnungen nicht ernst nehmen wollte? Sind hungrige Arkoniden der Naehrboden fuer einen Umsturz? Den einen am Boden liegende Flotte nicht aufhalten koennte?
Es beginnt mit dem vermeintlichen Helden und Aufdecker des Verrats, einem mit allem Wasser gewaschenen Kralasenen. Der sich im besten Sechs-Arkonsterne-Lokal zum Gedankenaustausch trifft. Waehrend eines gemuetlichen Mehrgaenge-Dinners bespricht er seinen Verdacht und sein moegliches Vorgehen mit - einem ehemaligen USO/LFT-Staragenten. Ein gemuetlicher Beginn, aber weil ich uebermaessigen Knalleffekt-Anfaengen in Romanen ohnehin nicht sehr nachtrauere, laesst das vermehrt auf eine rasante Steigerung der Spannung hoffen.
Aha, als Belohnung fuer seine fruehere Spitzeltaetigkeit fuer den Feind erhielt der ehemalige Sternenvogel eine neue Tarnexistenz und besagtes Lokal. Das zudem ein beliebter, bekannter, geduldeter und sogar gewuenschter Treffpunkt fuer Agenten aller galaktischen Maechte ist. "Heiliger Grund", sozusagen.
Ein erstes Zucken in der Bauchgegend macht sich bemerkbar, zwischen den Zaehnen reibt sich schon ein wenig Sand. Klar doch, der nette Bostich hat den alten Gegner nicht nur begnadigt, sondern sorgt sich sogar um dessen Existenz. Und Agenten aller Coleurs lieben natuerlich sichere Treffpunkte, wo sie in Ruhe miteinander plaudern koennen, wo sie von den lokalen Behoerden unbehelligt bleiben. Ganz sicher wird Bostich und seine Kralasenen die Gaeste des Lokals nicht beobachten, bespitzeln und ueberpruefen, ob es sich bei ihnen vielleicht um bisher unbekannte Agenten anderer Maechte handelt. (Einmal bekannte Agenten haben ausserhalb des Perryversums und des britischen MI5 zumeist wenig Existenzberechtigung.)
Viele Namen werden genannt, die der wissende Leser gleich wieder vergessen darf. Einer oder mehrere von ihnen planen also den Verrat an Bostich. Nun, die gleiche Information habe ich bereits dem Titel des Romans entnommen. Aber jetzt, jetzt wird unser lokaler Kralasenen-Ermittler wohl loslegen und seine Ermittlungen beginnen...
Nicht so schnell, erst mal eine kurze Rueckblende in Jahr 1325. Die edle Jasmyne da Ariga, in etlichen Castor Romanen die Tochter Atlans, macht sich Gedanken. Ein paar Informationen ueber Arkon, dessen ferne Vergangenheit, dessen nahe Vergangenheit, die gegenwaertige Lage und die Zukunft werden eingestreut. Ein nicht mehr ganz junger Begleiter Jasmynes quert kurz die Szene, steht eine Weile dekorativ im Hintergrund und verschwindet wieder. Wohl ein wichtiger Mann, der vielleicht aelter sein mag als er aussieht.
Die schoenen Aufarbeitungen des perryversischen Hintergrundes werden erst mal unterbrochen, denn jetzt treten einmal die handelnden "Menschen" in die Vordergrund, jetzt werden die Charaktere vertieft, es darf menscheln, der Clip, der bei der Oscarverleihung 1326 gezeigt werden soll, wenn Atlan den begehrten Oscar fuer die tiefschichtigste Figur der Serie bekommen soll, wird eingespielt.
"Mir faellt ein Gebirge vom Herzen", sagt er zu seiner Tochter, deren Naehe er jahrzehntelang sehnsuechtig herbeigesehnt hat. Weil mit dem Spruch schon ein Heinz Erhardt haette Applaus einfangen koennen, wird er kurz darauf noch einmal indirekt wiederholt. Ein gewisser Humorfaktor darf schliesslich nicht fehlen. Atlan und Jasmyne treten ab.
Und wieder einmal erfahren wir, wie es dazu gekommen ist, das Atlan nicht Imperator von Arkon wurde. Erfahren wir vom Schicksal der armen Theta. Von Bostichs unerwarteter Macht- ergreifung.
Endlich, ein klein wenig nervoes ist der Leser, der aus mir spricht, ja schon, blenden wir zurueck in die Handlungsgegenwart. Schoen, einen halben Roman habe ich ja noch vor mir, um unseren Kralasenen gegen die Verraeter ermitteln zu sehen.
Aber halt, erst mal begleiten wir kurz Bostich. Lassen ihn ein wenig in Gedanken vesinken. Sich an Seelenquell erinnern, an die Schmach damals. Nochmals erfahren wir vom Aufstieg seines treuen Freundes Aktakul, dessen grossen galaktischen Wissenschaftlers, der leider nicht dem hohen Arkon-Adel angehoert, von Bostich dennoch in die hoechste Wissenschaftsposition gehievt wurde. Ein kleines Deja vu, irgendwie meine ich, die Geschichte schon das eine oder andere Mal gelesen zu haben.
Endlich, die HI! Ein paar Saetze zur Hyperimpedanz. Ja, auch auf Arkon war sie zu spueren. Die schoene Hyperwerft musste ueberhastet aus dem Hyperaum geholt werden. Entgegen Bostichs Willen hat sein Wissenschaftsfreund Rhodans Warnungen ernstgenommen und im Alleingang dafuer gesorgt, dass es Arkon nicht ganz so schlimm wie erwartet erwischt.
Der Kristallschirm ist erloschen, aber bald wird er wieder leuchten. Die meisten Schiffe muessten umgeruestet werden, ja das geht nicht von heute auf morgen, aber die Galaxis ist lieb zu Bostich und gibt ihm die notwendige Zeit. Dank der Springer scheint die Versorgung des Imperiums gesichert zu sein, die schlauen Haendler haben vorgesorgt. (Haette der 1.Terraner bloss irgendeinen Springerpatriarchen statt Adams zum Sonderminister gemacht, dann muesste auf Terra der arme Norman nicht durch ganz Terrania irren, um irgendwo noch einen offenen Keksladen zu finden...)
Die groessten Sorgen macht Bostich sich ja um die kommenden arkonidischen olympischen Spiele. Nicht auszudenken, was geschehen wuerde, wenn sie verschoben werden muessten, oder gar ausfielen? Das Ende des Imperiums? Der Einbruch der Wettbueros? Eine Wirtschaftskrise, weil die Industrie keinen neuen, unverbrauchten Werbetraeger aus dem Sport anbieten koennte?
Noch dazu finden diese Spiele traditionell ausgerechnet dort statt, wo sich einer der acht Sternenozeane breitgemacht hat. Viele eigentlich gar nicht so unwichtige Details, die da auf engstem Raum geboten werden. Ueber deren Glaubwuerdigkeit und Relevanz kann man ja streiten, nicht aber darueber, dass hier auf wenigen Seiten mehr an Hintergrund geboten wird als in allen Terra-Baenden zur HI zuvor.
Eine kleine Pause tut da gut, schliesslich muss das Terabyte an grossen und kleinen Infos, an Gossips und die Auflistung aller Adelshaeuser von Gross-Arkon einmal verdaut werden.
Und nach der Pause geht's dann endlich weiter mit dem Verrat. Unser Kralasene hat immer noch ein, zwei Kapiteln Gelegenheit, in detektivischer Manier oder mit James-Bond-Krawall-Methoden fuer einen zuenftigen Abschluss des Heftes zu sorgen.
Aber erst mal beobachten wir noch Aktakul, wie er sich mit Dingsdatransmittern spielt, Stosswellen erzeugt und Situationen durch die Gegend beamt. Oder so aehnlich. Auf jeden Fall wird Bostich seine nachjustierten Raumschiffe bald ziemlich schnell ziemlich weit herumschicken koennen. Hier heisst es beim Lesen gut Aufpassen, falls irgendwelche Zehnerpotenzen von Frequenzen ihre grossen Auftritte haben, schnell weiterblaettern! Haben mir der Doktor und mein Chef zuletzt geraten, weil ich immer oefter Gott, die Welt und meine Arbeit als semimanifeste Materialisierungen hochfrequenter Schwingungen erklaeren wollte.
Und jetzt, endlich... der Verrat! Aber was muss ich da lesen, unser Held, Asughan, der Kralasene, mit dem Gleiter abgestuerzt und tot. Der fruehere Sternenvogel und sein Lokal - Opfer einer Explosion. Und so Pech auch, dass das Romanbudget bereits erschoepft war und wir die Ereignisse nicht mehr direkt verfolgen konnten, sondern sie nur noch mittels einiger Depeschen erfuhren.
(Fairerweise muss ich zugeben, dass ein paar Szenen in aktiver Form die Stimmung des Almanachs erheblich gestoert haetten. Was wusste schon man Lehrer in der Grundschule, der so gerne halbdrohend den Finger erhob und mich vor dem Gebrauch uebermaessiger "Leideform" warnte...)
Zeit fuer Bostich, endlich selbst aktiv zu werden. Und er hat ja noch gut fuenf Seiten, oder sind's auch nur vier?
Noch ein paar Dutzend (vielleicht sind es auch ein paar weniger) ehrwuerdige Hochedle werden vorgestellt, denen Bostich eine raffinierte Falle stellt, seine Robotdoubles ausschickt, um einen von ihnen als Verraeter zu entlarven.
Gefahe gebannt, Ende gut, alles gut...? Nein, denn unheilvoll erheben sich ein paar anonyme Stimmen zum Nachschlag und sprechen vom falschen Verraeter, den Bostich gemeuchelt hat.
Da bleibt mir zu hoffen, dass die echte Verschwoerung mehr Erfolg hat und Bostich und seinen Aufstieg, alle arkonidischen Adeligen, ihre Raenge und Tuniken, die Geschichte um Theta und die IPRASA, die Erinnerungen an Seelenquell und all die anderen Wiederholungen endlich den Garaus macht.
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Bitter? Verbittert? Enttaeuscht? Ja, all das und noch mehr. Die Geschichte um den Nashorntiger und Fraeulein Mondra in Schwierigkeiten war schlimm genug, aber das war damals wenigstens noch eine zwar alberne, aber doch erkennbare Geschichte. In einem Kontext, den ich da schon laengst als uninteressant und nisslungen abgetan hatte.
Die erste Umblende nach Arkon nach dem HI-Schock, der Blick hinter die Kulissen eines am Boden liegenden Machtfaktors, auf Bostichs Probleme mit einem absolut regierten Volk, das ploetzlich ein wenig "Morgenluft" wittert, die Schilderungen, wie Arkon den Wiederaufbau angeht, darauf mussten wir fast vierzig Wochen warten. Die Erwartungshalt war dementsprechend gross. Das Potenzial schlichtweg enorm.
_Ich_ haette es nicht fuer moeglich gehalten, dass _diese_ Geschichte derart daneben gehen koennte. So viele Moeglichkeiten, so viele Ansaetze haetten sich angeboten. Ein halbes Jahr an Handlungszeitraum seit dem 11.September.
Und was bekamen wir? Rueckblicke, Rueckblicke, Nachbetrachtungen, Zusammenfassungen, Erlaeuterungen, leblose Gefuehlsduselei eines unsterblichen Atlans. Und das in Form, die jeder Erzaehlhandlung nur spottet.
Ganz ohne Sarkasmus: Hut ab, dass Castor sich Gedanken ueber Hintergruende macht, Erklaerungen liefern will, Ereignisse immer wieder in ein groesseres Ganzes einbetten will. Das er sichtlich auf Leserfragen eingeht, Ungereimtheiten zumindest im Ansatz ausbuegeln will. Oft ist eine schwache Erklaerung besser als gar keine. Die Andeutung einer Loesung besser als die Annahme, der/die Leser schlucken ohnehin jeden Plot.
Aber leider auch: Castors _Erzaehl_kunst nimmt in meinen Augen eine seltsame Richtung. Seit seinem Erstling ueber Materia, der auch eine Menge an Hintergrund und Setting bot, daneben aber noch eine streckenweise extrem spannende Geschichte bot, wird er als _Erzaehler_ zunehmend uninteressanter. Nicht jeder Autor kann ein George R.R. Martin sein, oder ein Silverberg, oder eine LeGuin, oder ein Wolfe. Aber ein gewisser Standard sollte nicht unterschritten werden.
Verwickelte Geschichten, die wie ein Puzzle aufgebaut sind, Rueckblenden und Einschuebe, zeitlich versetzte Abfolgen von Handlungen, das sind Elemente, die ich durchaus schaetze. Wenn sie zur Geschichte passen. Wenn sie sparsam eingesetzt wird. Aber nicht, wenn sie selbst zum Standard werden, wenn sie zur Masche eines Autors werden.
Auf keinen Fall moechte ich Castor im PR-Team missen, als Faktensammler, Tueftler, Erklaerer, Techniker, Archivar, Ausbuegler, etc. ist er vermutlich unersetzbar.
Als Autor eines Heftes wuensche ich mir, ehrlich gesagt, eine laengere Auszeit. Oder einen Roman, in dem er eine schlichte Geschichte zu erzaehlen _hat_. Eine spannende oder lustige Geschichte, eine traurige oder actionhaeltige. Eine absolut konventionell erzaehlte Geschichte. Mit soliden Helden und Schurken. Ohne Rueckblenden, ohne Datenwulst. Ohne Einschuebe. Ohne Bedarf an Erlaeuterungen. Ohne Technikteil. Eine Geschichte wie Zieglers "Todesspiel". Meinetwegen wie Feldhoffs Erzaehlung ueber die Jugend Kantirans.
Dafuer mag's weder einen Pulitzerpreis geben noch den deutschen KLP. Aber beide wird's auch fuer den "Verrat auf der Kristallwelt" nicht geben. Ich glaub auch nicht, dass der Verlag beim Auszahlen der Autorenhonorare derartige Vorgaben macht oder auch nur im Sinn hat.
Alternativer Vorschlag:
Wie waere es mit einer "Special Edition" des Romanes? In kleiner Auflage als Hardcover, vom Autor ueberarbeitet und erweitert, die paar Erzaehlpassagen entfernt, den Rest in eine vernuenftige Reihenfolge und halbwegs lexikalisch verwendbare Form gebracht, mit einem vernuenftigen Index versehen? Das Standardwerk zur arkonidischen Kultur zur Zeit der HI?
Als BOD? Teil einer kleinen Subreihe von Sekundaerwerken zur grossen PR-Serie?
Neutrales:
Ueber die _Glaubwuerdigkeit_ bei der Beschreibung der HI wurde schon viel diskutiert. Jedem bleibt selbst belassen, ob er Castors Aussagen, warum Arkon trotz der terranischen Vorleistungen sichtlich weniger betroffen ist, folgen will. Fakt ist, der grundlegende Plot wurde in den Exposes festgelegt. Der Plot verlangt es so und nicht anders.
Mich haben die Details, die ueber Arkon nach der HI gebracht wurden, nicht ueberzeugt. Eine genaue Aufarbeitung spare ich mir, diese meine Tirade geht ohnehin schon viel zulange. (Das Visier zu den Friedensfahrern waere deutlich positiver und freundlicher ausgefallen!)
Fazit:
Keine Drohung, aber eine durchaus ernstgemeinte Ueberlegung:
Noch einmal so ein "Verrat auf der Kristallwelt" und Rainer Castor schafft vielleicht, was HGF nicht geschafft hat. Das ich die Lesezeit seiner Romane auf 15 - 20 Minuten beschraenke (also ein rasches Durchblaettern) werde.
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